Varanasi – die heilige Stadt am Ganges

Kurzfristiges Umplanen nötig: Da unsere heiß ersehnten Trekkingschuhe den Weg von Deutschland zu uns nach Indien nach fünf langen Wochen noch immer nicht gefunden hatten, hieß es nach Jaisalmer den Reiseplan etwas zu verändern. Wir sehnten uns schon lange nach Ruhe, frischer Luft und Trekking in Kaschmir und Ladakh, doch ohne das nötige Equipment war nicht daran zu denken und Schuhe dort zu kaufen, geschweige den auszuleihen, war für uns keine Option. Wir flogen also erst einmal nach Varanasi, um unseren Schuhen noch etwas mehr Zeit für die Anreise zu gewähren.

Varanasi… Wir haben schon viel gehört, gelesen und gesehen über die heilige Stadt am Ganges, doch das Geschehen hautnah mit zu erleben, ist etwas ganz anderes.

Priester varanasi

Wir kommen also am Flughafen an und fahren mit dem Prepaid-Taxi in Richtung Innenstadt.
Ok… – wir fahren circa 10 von den 35 Kilometern, dann streikt das Auto und wir stehen mitten auf einer stark befahrenen Straße, die gleichzeitig von starkem Regenfall überschwemmt wird. Na toll! Neben den unzähligen Autos überholen uns auch zwei Leichen, die von fröhlich singenden Indern auf Bahren gen Ganges getragen werden. Das hat man auch nicht alle Tage… Nach langem Warten und völliger Untätigkeit unseres Fahrers trommeln wir ein par Leute zusammen und versuchen unserem kleinen Auto durch Anschieben zu neuem Leben zu verhelfen – aber ohne Erfolg.
Also fahren wir die restlichen Kilometer im strömenden Regen mit dem Tuktuk in Richtung Innenstadt. Erstes Ziel ist der Bahnhof von Varanasi, um uns ein Ticket für den Nachtzug nach Delhi zu sichern – die sind nämlich heiß begehrt…

Wir fahren anschließend mit der Fahrradrikscha in Richtung der unzähligen Ghats, müssen aber aufgrund des hohes Fußgängeraufkommens durch die vielen Pilger den letzten Kilometer zu den zahlreichen Unterkünften laufen. Eine Unterkunft in Varanasi zu finden ist die eine Sache, diese aber nach Verlassen wieder zu finden eine ganz andere. Die Straßen am Ganges und den Ghats in Varanasi gleichen einem Labyrinth. Sie sind schmal, lang und von hohen Mauern umgeben. Aber in Jodhpur haben wir ja fleißig geübt und so schlagen wir uns hier auch ohne Kompass recht tapfer.

streets of varanasi

 

streets of varanasi

Okay, der Ganges ist ein recht guter Orientierungspunkt… Der Dreck und die Gerüche, die den Weg aus den Straßen nicht zu finden scheinen, sind teilweise unerträglich. Aber damit soll es in Varanasi ja nicht genug sein. Neben dem Kuhmist, der sich im Regen auflöst und sich ebenmäßig über die Pflastersteine verteilt, gibt es in den Morgenstunden zahlreiche tote Ratten zu sehen, die auf den Straßen liegen bis der nächste Hund vorbei kommt und – naja, ihr wisst schon. Ja, wenn man so durch die Gassen läuft, fühlt man sich manchmal zurück versetzt in die Zeit der Ritter und Burgen.

Nachmittags machen wir uns auf den Weg zum Ganges, genauer gesagt zu den Ghats, wo die Verstorbenen verbrannt werden. Diese sind nur circa 150 Meter von unserer Unterkunft entfernt, so dass wir uns nun denken können, wo der Staub auf unserer Dachterrasse her kommt!

Varanasi Ganges

Schon von Weitem zieht der Geruch von Verbranntem in unsere Nasen und mit jedem Schritt wird es schlimmer. Angekommen an den Ghats, an dem die Feuer ohne Unterbrechung 24 Stunden am Tag 365 Tage im Jahr brennen, können wir kaum Sehen geschweige denn Atmen, zu gewaltig sind die Feuer und zu beißend der Qualm. Ein Arbeiter erklärt und zeigt uns seinen Arbeitsplatz und mit jedem Satz und jedem weiteren Stück Ruß, der auf uns fällt, wünschen wir uns ganz schnell Fort von diesem Ort.

streets of varanasi

Varanasi

Varansai Ganges

Ganges Varanasi

An den Ghats gibt es zwei Ebenen, an denen die Leichen verbrannt werden. Im unteren Bereich, sprich unmittelbar am Wasser, werden all die Menschen verbrannt, die einer weniger hohen Kaste angehören und im oberen Bereich die Brahmanen. Diese Unterteilung wird nur bei Hochwasser aufgegeben, wenn die unseren Ghats nicht mehr zugänglich sind.
Uns wurde erklärt, dass alles vom menschlichen Körper verbrannt wir, außer die Brust des Mannes und das Becken der Frau (da dieses die stark beanspruchten Körperteile und somit heiligen Körperteile sind). Diese Körperteile werden direkt nach der Verbrennung der Leiche dem Ganges übergeben. Kinder unter zehn Jahren, Schwangere, an Lepra Eerkrankte oder von einer Cobra gebissene Personen werden ebenso direkt dem Ganges übergeben

Auch Familien, die nicht genügend Geld für das Holz aufbringen können, müssen den Körper, der durch zu wenig Holz nicht komplett verbrannt wurde, in den Ganges legen.
An den Verbrennungs-Ghats ist es Frauen verboten, diesen Bereich zu betreten und an den Zeremonien teilzunehmen. Sie bleiben daheim und weinen dort um die Verstorbenen. Sie müssen dort eine Woche, in einem dunklen Bereich ihres Hauses ununterbrochen ihre Trauer ausleben und weinen. Teilweise gibt es auch Professionelle, die diese Arbeit übernehmen – wie auch immer… An den Ghats selbst jedenfalls dürfen keine Tränen vergossen werden, da die Seelen der Verstorbenen sonst den Weg ins Nirwana nicht finden würden.

Zu unserer Reisezeit führt der Ganges Hochwasser und somit bleiben wir vom Anblick von Leichenteilen oder gar kompletten Leichen im und am Ganges verschont. Allerdings begegnen und in den Straßen immer wieder die Bahren mit den zum Teil nur bis zum Hals verhüllten Verstorbenen und an den Verbrennungs-Ghats sieht man sie natürlich auch.
Uns wurde erzählt, dass wenn eine Leiche (oder ein Teil der Leiche) in den Ganges gelegt würde, finde dies weiter draußen statt, damit die Strömung den Leichnam forttrage. Wenn es aber doch dazu komme, und das sei nicht selten, dass Teile eines Leichnams ans Ufer gespült würden, so würden sich auch hier die Hunde drüber her machen…

Varansai Ganges

Ja, für uns kaum vorstellbar was hier in Varanasi Tag für Tag stattfindet. Für die Menschen hier ist es eine große Ehre, hier sterben und verbrannt werden zu können. So sieht man überdurchschnittlich viele alte, gebrechliche Inder durch die Straßen laufen, die hier auf ihr Lebensende warten.
Ganges Zeremonie

Da Varanasi eine oder die heiligste Stadt Indiens ist, kommen Menschen aus aller Herren Länder hierher, um sich im Ganges zu Waschen, zu Beten, einen Verstorbenen zu verabschieden oder sich mit Gleichgesinnten zu treffen und  gemeinsam Zeremonien auszuüben. So treffen wir hier während unseren Aufenthalts eine ganze Menge interessanter, verrückter und auch lustiger Menschen.

Varanasipic

Wir treffen zwei Spanier (ganz ’normale‘ Touristen wie wir…) in den Gassen und verabreden uns kurzer Hand zu einer Bootstour, welche uns vieren einen tollen Blick auf das Dashashwamedh Ghats und die dort allabendlich stattfindende Ganga Aarti Zeremonie ermöglicht. Es ist toll mit unseren kleinen Ruderboot bis an das Geschehen heran zu dürfen und mitzuerleben, wie die Menschen ihre Religion ausleben.

varanasi at night

Varanasi

Am gleichen Abend laufen wir noch einmal zum Manikarnika Ghat, dem Verbrennungs-Ghat. Mit jedem Schritt, den wir näher kommen, nehmen wir immer deutlicher eine Art indische Technomusik war. Kurz darauf stehen wir wieder neben den Holzhaufen, die jeden Tag aufgefrischt werden müssen und sehen einen Priester vor dem Shiva Tempel, der mit einem Stock, einer Ziege und eventuell einer Prise zu viel von dem „guten Tabak“ vor dem kleinen Tempel zu den Beats tanzt. Um ihn herum ein dutzend Männer, die ihm beim Tanzen zusehen. Ein paar Meter weiter brennen die Feuer… Was für uns hier neu war, war die Fröhlichkeit bei den Verbrennungen. Und so schien es auch gar nicht mehr so abwegig, dass direkt neben den Bestattungszeremonien ein großes Shiva-Fest gefeiert werden kann.

Varansai Ganges

Prister Varanasi

Kulinarisch fanden wir Varanasi übrigens ganz großartig! Wir haben uns sogar ein wenig daran gewöhnt, dass hin und wieder eine Bahre an uns vorüber zieht…

Ohne Nachricht von unseren Schuhen erhalten zu haben, machen wir uns schließlich schweren Herzens mit dem Zug wieder auf den Weg nach Delhi…

Train from VaranasiTrain from Varanasi